In den letzten Tagen eskalierte die Diskussion um die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Innenminister Joachim Herrmann warf mir am Freitag sogar „bewusste Verdrehung der Tatsachen“ oder „schlichte Unkenntnis der Abläufe großer Bauvorhaben“ vor. Doch was war passiert?

Der Streit um die Chemie-Gebäude

Entzündet hatte sich der Streit um zwei Neubau-Projekte für Chemie-Gebäude im Südgelände der Universität in Erlangen. Sie sollen Bestandsgebäude ersetzen, deren Nutzung nach 2023 aus sicherheitstechnischen und versicherungsrechtlichen Gründen in Gefahr ist. Der Versicherer, die Landesunfallkasse (LUK) hatte schon vor einigen Jahren deutlich gemacht, dass der Betrieb über das Jahr 2024 hinaus „definitiv nicht geduldet“ werde.

Im Doppelhaushaltsplan für 2017/2018 waren deshalb für die Planung des 2. Bauabschnitts des Chemikums noch Gelder in Höhe von 1,250 Millionen vorgesehen:

Nach der Landtagswahl im Oktober 2018 fand man in dem im Mai 2019 beschlossenen Doppelhaushaltsplan für 2019/2020 unter diesem Titel dann allerdings nur noch „0 Euro“. Auch für den Neubau den technischen Chemie wurde kein Budget eingeplant:

Das verwunderte, denn eigentlich belaufen sich die Planungskosten für Projekte mit einem Gesamtvolumen von rund 300 Millionen mindestens im hohen zweistelligen Millionenbereich. Dass man plötzlich für zwei Planungsjahre gar kein Budget mehr vorsieht, wirft Fragen auf – nicht zuletzt, nachdem Söder noch im Wahlkampf für die FAU insgesamt 1 bzw. 1,5 Milliarden (!) für Investitionen in den „nächsten Jahren“ zugesagt hatte.

Als ich zusammen mit dem Bauausschussvorsitzenden Sebastian Körber (FDP) Anfang Mai bei einen Ortstermin mit Betroffenen sprach, zeigten diese sich aufgrund der Vorgänge und des dringenden Handlungsbedarfs besorgt.

Gespräch mit Studierendenvertretern auf dem Südgelände der FAU – 8. Mai 2019

Unser FDP-Wissenschaftspolitiker Wolfgang Heubisch hatte deshalb schon im April nachgefragt und Ende Mai die wenig befriedigende Antwort bekommen:

„Die Mittel für diese Bauinvestitionen werden langfristig dem jeweiligen (künftigen) Bedarf und dem jeweiligen Planungsstand entsprechend schrittweise und über mehrere Jahre veranschlagt“

Entsprechend groß war auch der mediale Aufschrei und die CSU gelobte Besserung:

„Die FAU kann sich darauf verlassen, dass insbesondere die vorliegenden Aufträge zügig bearbeitet werden.“ Er werde sich dafür einsetzen, dass die erforderlichen Mittel im kommenden Nachtragshaushalt eingestellt werden.

Joachim Herrmann in den Erlanger Nachrichten vom 01.06.2019

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Getreu diesem Motto fragte ich nach, was das bedeutet und bekam wenig beruhigende Informationen:

Für die Planungs- und Bauzeit prognostiziert die Bauverwaltung einen Zeitraum von sieben Jahren ab Planungsauftrag. Nach vorsichtiger Schätzung würde ein weiteres Jahr für den Einzug, die Inbetriebnahmen und notwendigen Einregulierungen eines solchen hochinstallierten Hochschulgebäudes hinzukommen. Ggf. sind – je nach Baufortschritt – für einen Übergangszeitraum vorübergehende Maßnahmen nach Ziff. 3 zu ergreifen. Die Gesamtbaukosten des Neubaus Chemikum, 2. Bauabschnitt, werden von der Bauverwaltung derzeit auf 215 Mio. Euro zuzüglich Baupreisindex bis Fertigstellung geschätzt.

Aus der Antwort auf meine Anfrage zum Plenum vom 06.06.2019

215 Mio. Euro sind eine stolze Summe. Dass für so ein Projekt keinerlei Planungsmittel mehr vorgesehen werden müssen, klingt wenig überzeugend. Außerdem wurde deutlich, dass die Fertigstellung eines Ersatzneubaus bis 2024 unrealistisch ist und die Regierung bislang konzeptlos auf eine problematische Übergangszeit zusteuerte.

Doch damit nicht genug, als ich einen knappen Monat später nachfragte, ob die von Joachim Herrmann angekündigten Planungsaufträge denn nun endlich erteilt seien, musste die Staatsregierung zugeben, dass sie immer noch an diesen arbeitete.

Joachim Herrmann und Wissenschaftsminister Bernd Sibler wollten bei einer Veranstaltung am 2. Juli in Erlangen beruhigen und bekräftigten ein Versprechen, das die CSU Erlangen stolz in einer Meldung wiedergibt:

Ganz konkret hatten Sibler und Herrmann am 2. Juli zugesagt, sich nachdrücklich dafür einsetzen, dass schon im Nachtragshaushalt 2020 der 2. Bauabschnitt des Chemikums und der Neubau der Technischen Chemie verankert werde.

Aus einer Meldung der CSU Erlangen im September 2019

Außerdem versprach Ministerpräsident Söder bei der Eröffnung des Wasserstoffzentrums im September nochmals die Investitionen von rund 300 Millionen Euro in die Chemie-Gebäude. Damit schien das Thema eigentlich erstmal durch und die Frage war, wann der Rest der versprochenen 1,5 Mrd. Euro für die FAU kommen sollte.

Zusammen mit Wolfgang Heubisch (FDP) besuchte ich deshalb Mitte September zunächst die Erziehungswissenschaften in Nürnberg.

Was mich dann stutzig machte

Anfang Oktober stellte Markus Söder dann seine „Hightech-Agenda“ vor. Seltsamerweise werden dabei aber nicht mehr die beiden Chemie-Neubauten für 300 Millionen Euro erwähnt, sondern lediglich der vom Finanzvolumen her wesentlich kleinere „Neubau der Technischen Chemie“.

Also fragte ich auch hier noch einmal nach. Ergebnis war, dass zwar die Planungsaufträge für beide Chemie-Neubauten über ein halbes Jahr nach den Bekundungen Ende Mai/Anfang Juni endlich am 18.11.2019 erteilt worden sind. Wie aber die Gelder über die zu erwartenden acht Jahre Realisierungsdauer (siehe Zitat oben) verteilt eingeplant werden sollen, wurde nicht beantwortet. Nun stehe vielmehr in 2020 die Erstellung der Haushaltsunterlagen (HU-Bau) an. Die dafür benötigten Mittel sollen „aus den insgesamt für die Anlage S des Einzelplans 15 zur Verfügung stehenden Ansätzen bereitgestellt werden.“

Dazu muss man wissen, dass das Mittel sind, die für andere Projekte an Hochschulen und Universitäten in ganz Bayern einplant sind. Die Aussage bedeutet also nichts anderes, als dass nun die FAU darauf hoffen soll, dass von den anderen Projekten schon ein paar Krümel vom Kuchen für sie übrig bleiben und dann in „entsprechender Bedarfshöhe“ für die dringlichen Projekte genutzt werden können.

Weiter machte mich folgender Absatz der Antwort stutzig:

Sobald die Bauvorhaben in wenigen Jahren in die tatsächliche Umsetzung gehen, wird sich das Staatsministerium für eine Verankerung der erforderlichen Mittel im Staatshaushalt einsetzen. Eine darüber hinausgehende solide belastbare Aufschlüsselung, insbesondere zu Einzelprojekten und Haushaltjahren sowie Angaben zur voraussichtlichen Realisierungsdauer sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht leistbar. Konkrete Kosten und Zeiträume für die einzelnen Vorhaben werden im üblichen Verfahren sukzessive ermittelt.

Aus der Antwort auf meine Anfrage zum Plenum vom 25.11.2019

Heißt also, dass man von der angekündigten „Verankerung im Nachtragshaushalt“ wohl erstmal nichts mehr wissen wollte, denn genau danach hatte ich explizit gefragt. Selbst über die nächsten Jahre gibt es noch nicht einmal eine halbwegs belastbare Projektplanung (auch nach der hatte ich explizit gefragt). Man möchte sich einfach nicht weiter festlegen. Für die „dringlichsten FAU-Bauvorhaben“, deren Umsetzung angeblich seit Ministerratsbeschluss 03.07.2018 „mit Nachdruck“ und „höchster Priorität“ vorangetrieben werden, finde ich das knapp 1,5 Jahre später eine spannende Aussage.

Als Unternehmensberater habe ich auch in anderen (Bundes-)Ländern (u.a. im öffentlichen Sektor) bei Projekten im dreistelligen Millionenbereich im Projektmanagement mitgearbeitet. Dass dieses Projekt so lange über keine richtige Finanzplanung verfügt, finde ich zumindest verwunderlich.

Es ist ja klar, dass man sukzessive noch genauere Zahlen bekommen wird. Aber wenn man schon für 2021 keine konkreten Vorstellungen hat: Wo sollen dann die Summen in einer beachtlichen Höhe aus dem restlichen Haushalt herkommen? Es reicht doch nicht, dann erst kurzfristig die Summe zu benennen! Offensichtlich ist man sich da in der Staatsregierung und bei den Regierungsfraktionen insgesamt auch noch nicht einig, dem auch finanziell die nötige Priorität – insbesondere bei abflauender wirtschaftlicher Entwicklung – einzuräumen. Es besteht daher trotz der erteilten Planungsaufträge die Gefahr, dass man sich den Spielraum erhalten möchte, sich mit der Planung einfach mehr Zeit lassen zu können, wenn politisch andere Prioritäten gesetzt werden. Mehr als dass das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst sich in „wenigen Jahren“ für eine Verankerung der Mittel im Staatshaushalt „einsetzen“ werde, wurde nämlich nicht zugesagt.

Vielmehr sollte man daher das Augenmerk auf die weiteren Aussagen in der Antwort der Regierung legen:

Daneben hat die Staatsregierung am 12.11.2019 dem Staatlichen Bauamt Erlangen-Nürnberg den Auftrag erteilt, die notwendigen Schritte einzuleiten, mit denen die Betriebsgenehmigungen für die Bestandsgebäude in
– der Regensburger Str. 160 in Nürnberg,
– der Kochstr. 4,
– der Bismarckstr. 1
– und der Egerlandstr. 1-3 in Erlangen
für die Übergangszeit bis zur Fertigstellung der geplanten Ersatzbauten noch weiter verlängert werden können. Hierunter fällt auch das Bestandsgebäude der Anorganischen Chemie.

Aus der Antwort auf meine Anfrage zum Plenum vom 25.11.2019 (Hervorhebungen durch MF)

Das klingt erstmal richtig, denn natürlich muss man sich um die Übergangszeit kümmern, die jetzt schon klar absehbar ist. Allerdings muss das in Verhandlungen – u.a. auch mit der Landesunfallkasse – erst einmal klappen und nicht zuletzt gibt es neben dem formellen Akt auch real gravierende bauliche Probleme. Diese lassen sich nicht so einfach mit einer längeren Betriebsgenehmigung aus dem Weg räumen. Im Bestandsgebäude der Anorganischen Chemie finden sich Labore in denen zum Beispiel das Chemie-Praktikum vieler Studiengänge stattfindet. Vergleichbare Ersatz-Infrastruktur gibt es in der ganzen Umgebung nicht, bis die Ersatzneubauten endlich gebaut sind und nutzbar werden.

Es besteht kein zeitlicher Spielraum

Unterschiedliche teils hochgiftige Stoffe müssen mit einem vor Jahrzehnten gebauten Abluftsystem aus der Luft gefiltert werden. Die dafür verwendeten Luftleitungen befinden sich in einem bedenklichen Zustand und werden auch nicht durch die kürzlich betriebenen „Notsanierungen“ wirklich verbessert. Auch die dazugehörige Anlage ist sehr in die Jahre gekommen. Versagt sie den Dienst, was in den nächsten acht Jahren zumindest nicht unwahrscheinlich ist, wird es mit dem Weiterbetrieb des Gebäudes schlagartig vorbei sein. Die Folgen für die Betroffenen Studiengänge kann sich jeder vorstellen. Darüber hinaus gibt es noch weitere sicherheitstechnische Punkte, auf die ich an dieser Stelle nicht genauer eingehen möchte.

Denn auch so wird deutlich: Eigentlich besteht kein zeitlicher Spielraum, wenn man nicht auf Kosten der FAU pokern möchte.

Als nun aber auch mit dem neuen Nachtragshaushaltsentwurf die Bestätigung kam, dass für die Chemie-Gebäude der FAU keinerlei Mittel explizit vorgesehen werden, war ich enttäuscht. Zumindest für die nächsten Planungsschritte in 2020 hätte man die nötigen Mittel nach all den Ankündigungen vorsehen müssen. Nur so wäre klar gewesen, dass die FAU nicht weiter in Konkurrenz mit anderen Universitäten und Hochschulen um übriggebliebene Mittel zittern müsste oder auf den durch die Hightech-Agenda zusätzlich geschaffenen Investitionsposten hoffen.

Dazu ist übrigens besonders die Antwort auf meine folgende Teilfrage interessant:

[…] inwiefern die explizite Erwähnung des Neubaus der Technischen Chemie in Erlangen in der Regierungserklärung von Dr. Markus Söder am 10.10.2019 im Gegensatz zum im Finanzvolumen wesentlich umfangreicheren zweiten Bauschnitt des Chemikums bedeutet, dass Letzteres nicht Teil des Sanierungs- und Beschleunigungsprogramms im Umfang von 600 Mio. Euro sein soll?

Aus meiner Anfrage zum Plenum vom 25.11.2019

Ich bekam darauf keine explizite Antwort. Vielmehr hieß es:

Ggf. nötige Priorisierungen der verschiedenen Bauvorhaben werden im üblichen Verfahren in enger Abstimmung mit der Hochschulleitung durchgeführt und in Zusammenarbeit mit dem Bau- sowie dem Finanzressort energisch vorangetrieben.

Aus der Antwort auf meine Anfrage zum Plenum vom 25.11.2019

Keine Antwort ist auch eine Antwort. Das wirkt aus den oben genannten Hintergründen und mit dem Wissen um die von Markus Söder mit aller Entschlossenheit vorangetriebenen neuen Technischen Universität in seiner Heimatstadt Nürnberg für die FAU wenig beruhigend.

Mit dem Nachtragshaushaltsentwurf hätte die Regierung ihren Ankündigungen nun Taten folgen lassen können. Das wäre im Übrigen auch in der Planungsphase kein ungewöhnliches Vorgehen. Zu Wolfgang Heubischs Zeit als Wissenschaftsminister erfolgte beispielsweise eine konkrete Mittelzuweisung in Millionenhöhe für ein dringendes, in Planung befindliches Projekt im Nachtragshaushalt.

Die Minister Sibler und Herrmann konnten ihr Versprechen, die Mittel der Chemiegebäude nun dort zu verankern, nicht durchsetzen oder haben es gar nicht ernsthaft probiert.

Entsprechend dünnhäutig fällt auch Joachim Herrmanns Reaktion auf meine öffentliche Kritik aus.

Herrmann kritisiert Fischbach

„Wir unterstützen die dringend notwendigen Sanierungsmaßnahmen und Neubauten der FAU mit Nachdruck und dazu stehen wir auch zukünftig“, erklärte Herrmann diesbezüglich. Hermann weiter: Dass der Abgeordnete Fischbach etwas anderes zu unterstellen versucht, zeuge entweder von bewusster Verdrehung der Tatsachen oder von schlichter Unkenntnis der Abläufe großer Bauvorhaben.

Aus einer Meldung des Bayerischen Rundfunks

Deshalb habe ich einmal die Tatsachen hier in diesem Beitrag ausführlich dargestellt, damit sich jeder selbst ein Bild der Vorgänge machen kann. Ich frage mich jedenfalls weiter, wer „Wir“, was „unterstützen“ und was „Nachdruck“ ist, wenn ein Projekt von dieser Bedeutung praktisch seit Jahren so zäh vorangeht. Aus Universitätskreisen hört man jedenfalls, dass spätestens im Laufe des Jahres 2013 auch dem Ministerium klar geworden sein müsse, dass dringender Handlungsbedarf bestehe, weil ein Weiterbetrieb der Bestandsgebäude nach 2024 sehr schwierig werde. Der nötige politische Wille, darauf schnell zu reagieren, fehlte anfangs aber offensichtlich der Staatsregierung. Es wäre schön, wenn sich das nun geändert haben sollte. Die konkrete Verankerung der Mittel im Haushalt blieb nun aber aus. Es fällt daher schwer, den weiteren Beteuerungen Glauben zu schenken, wenn auch das explizite und mehrmalige Versprechen mit dem Nachtragshaushalt nicht eingelöst werden konnte, obwohl es sich „nur“ um Planungsmittel und nicht die ganze Bausumme handelte. Diese Mittel direkt auszuweisen wäre haushalterisch weder total ungewöhnlich noch besonders schwierig gewesen.

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